Nach der Einsperrung der Jüdinnen und Juden im Warschauer Ghetto im November 1940 beginnt eine Gruppe um den jüdischen Historiker Emanuel Ringelblum, die sich Oneg Shabbat (‚Freude des Sabbat‘) nennt, Beweisstücke für die Entrechtung der jüdischen Bevölkerung zu sammeln und das Geschehene für die Nachwelt schriftlich festzuhalten.
Die am Projekt beteiligten jüdischen Aktivist*innen schildern und archivieren zahlreiche Aspekte der Existenz im Warschauer Ghetto und der Shoah und tun das unmittelbar, ohne zeitliche Distanz und ohne zu wissen, was am nächsten Tag passiert. Sie dokumentieren nicht nur den Ghettoalltag, sondern analysieren auch die Ereignisse und das menschliche Verhalten, stellen Fragen, suchen nach Ursachen und Folgen und meiden dabei keine schwierigen Themen und unbequeme Gedanken. Aus ihrer Arbeit entsteht eine einzigartige Sammlung von Zehntausenden von Dokumenten unterschiedlicher Art, zu der es keine vergleichbare Zusammenstellung von Quellen zu Shoah in allen Archiven der Welt gibt.
Die im Warschauer Ghetto geheim verfassten, in Metallkästen und Milchkannen versteckten und nach dem Krieg wiedergefundenen Aufzeichnungen sind die letzten Zeugnisse über das Leiden und sowie über den Tod nicht nur von einzelnen Menschen, sondern auch von den ganzen jüdischen Gemeinden. Wie der amerikanische Historiker Samuel Kassow mit dem Titel seines Buches „Who Will Write Our History? Emanuel Ringelblum and the Oyneg Shabes Archive“ andeutet, ist der Sammlung des geheimen Ghettoarchivs umso mehr Beachtung zu schenken, als es sich um die Stimme der Opfer und nicht der Täter handelt.
Während des Vortrags erfahren Sie mehr über das Untergrundarchiv des Warschauer Ghettos und vor allem über die Menschen, die zur Entstehung von dieser außergewöhnlichen Sammlung von Beweisen für die Besonderheit der Shoah beigetragen haben.
Dr Anita Borkowska, geboren 1896 in Krasnystaw (Polen), studierte Germanistik an der Warschauer Universität, promovierte 2014 mit der Dissertation unter dem Titel Literarische Eigenschaften der videographierten und transkribierten Interviews mit Überlebenden der nationalsozialistischen Verfolgung. Guide, Bildungsreferentin, Übersetzerin. Beteiligt sich an der Durchführung von lokalen und internationalen Bildungs- und Erinnerungsprojekten zu den Themen Zweiter Weltkrieg und Shoah. Begleitet inhaltlich, sprachlich und organisatorisch Studienreisen für Jugendliche und Erwachsene. Ihre festen Kooperationspartner sind u.a. Organisationen aus Deutschland wie: Bildungswerk Stanisław Hantz e.V, what matters, Brücke|Most-Stiftung, Internationales Bildungs- und Begegnungswerk in Dortmund und Stichting Sobibór aus den Niederlanden. Bietet Rundgänge durch das ehemalige Warschauer Ghetto, das ehemalige jüdische Lublin, das Jüdische Historische Institut in Warschau, das Staatliche Museum in Majdanek und die ehemaligen Mordlager der „Aktion Reinhardt“ an. Mitglied des Vereines „Studnia Pamięci“ („Brunnen der Erinnerung“) aus Lublin. Arbeitet mit dem Museum für Geschichte der Polnischen Juden POLIN in Warschau zusammen, u.a. bei der Begleitung von Gruppen in der Ausstellung, Durchführung von Workshops für Schülerinnen und Schüler sowie von Seminaren oder Kursen für Erwachsene, darunter für Guides und Freiwillige. Arbeitet mit polnisch-, deutsch-, englisch und spanischsprachigen Besuchern und Besucherinnen. 2023 wurde der von ihr übersetzte Zeitzeugenbericht von Kalmen Wewryk Do Sobiboru i z powrotem (Nach Sobibor und zurück) in Polen veröffentlicht.