statement zur Relativierung von Antisemitismus in der Stuttgarter Zeitung

In der Stuttgarter Zeitung erschien am 22.06. ein Leitartikel „Von Zensur spricht Niemand” von Adrienne Braun, den wir als DIG Stuttgart nicht unkommentiert lassen können, weshalb sich der Vorstand entschlossen hat, einen Leserbrief zu schreiben.
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Hinsichtlich der documenta15 begrüßt die Deutsch-Israelische Gesellschaft Region Stuttgart die Entfernung eindeutig antisemitischer Bildsprache aus dem öffentlichen Raum.

Die DIG Stuttgart widerspricht ausdrücklich dem Leitartikel „Von Zensur spricht niemand“ von Adrienne Braun vom 22.06., der den zur Schau gestellten Antisemitismus im Werk „People’s Justice” der Gruppe „Taring Padi” in mehrfacher Hinsicht relativiert. Die entmenschlichte und dämonisierende Darstellung von Juden als Blutsauger, Schweine und Nazis kann und darf nicht durch den Hinweis auf einen „Graben zwischen westlichem und östlichem Selbstverständnis“ und einen nicht-westlichen „Kunstbegriff“ entschuldigt werden. Die strafrechtlich relevanten Darstellungen bedeuten eine Grenzüberschreitung, für die keine Kunstfreiheit gelten kann. Antisemitismus ist unbesehen der Herkunft und Perspektive und des kulturellen Kontextes derer, die ihn vertreten und ausstellen, uneingeschränkt zu verurteilen. Alles andere wäre Antisemitismus-Akzeptanz und fiele hinter universelle, zivilisatorische Mindeststandards zurück. Im Besonderen verurteilen wir als DIG Stuttgart, dass Frau Braun den Eindruck erweckt, für Jüdinnen und Juden würde man vorauseilend zensieren, während „rassistische, sexistische oder postkolonialistische Botschaften“, durch die sich nicht-jüdische Gruppen „verletzt fühlen“, oft mit der Freiheit der Kunst verteidigt würden. Diese „zweierlei Maße“, die Frau Braun hier sieht, bemühen die antisemitische Denkfigur des überproportionalen Einflusses von Jüdinnen und Juden.

Das Entfernen des antisemitischen Werks darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass gut begründete Vorwürfe des Antisemitismus im Vorfeld der documenta heruntergespielt wurden. Im Management und unter den Ausstellenden der documenta15 befinden sich zahlreiche Befürwortende der antisemitischen BDS-Kampagne und rund 25 Unterzeichnende von antiisraelischen Resolutionen. Antisemitismus wird auf der documenta nicht – wie von Frau Braun suggeriert – zu viel, sondern zu wenig kritisiert.

Das Entfernen des antisemitischen Werks von Taring Padi aus dem öffentlichen Raum ist richtig und notwendig. Wir wollen die Forderung nach einem Verbot bestimmter Botschaften durch Gruppen, die sich dadurch verletzt fühlen, nicht relativieren. Aber hier muss unterstrichen werden, dass die antisemitische Bildsprache von Taring Padi in der Tradition der Judenverfolgung und -vernichtung steht. Und das ist keine subjektiv empfundene Gefühlsverletzung, sondern der Wunsch nach der Vernichtung des jüdischen Staates.

Oliver Vrankovic, Vorsitzender der DIG Region Stuttgart e.V. im Namen des Vorstands der DIG Region Stuttgart e.V.

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Im Zusammenhang mit unserem Leserbrief auch noch einmal der Hinweis auf die Notwendigkeit der Differenzierung zwischen Rassismus und Antisemitismus, wie sie Stephan Grigat im Zusammenhang mit der documenta 15 in einem Artikel am 25.04. vorgenommen hat.

Am 25.06. erklärt Stephan Grigat beim RBB noch einmal den Unterschied zwischen Rassismus und Antisemitismus.

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Auswahl von Texten zur documenta15

Marc Neugröschl über die Zusammenarbeit mit BDS-Unterstützern (17.06.)

Presseerklärung des Zentralrats der Juden zu Antisemitismus auf der documenta (20.06)

“documanta: Volker Beck schaltet Staatsanwaltschaft ein” (20.06.)


„documanta der Schande” (Phillipp Peyman Engel, 22.06.)

“Willkommen auf der Antisemita 15” (Sascha Lobo, 22.06.)

statement des Sara Nussbaum Zentrums für jüdisches Leben in Kassel

“Das bischen Hitler” (Dierk Saathoff, 23.06.)

“Diese Kunst tötet“ (Richard Schneider, 23.06.)

Kassel: Ehrung von Selbstmordattentätern“ (Thomas von der Osten-Sacken, 24.06.)