Offener Brief an die Abgeordneten des Landtags Baden-Württemberg zum Antisemitismus-Bericht

Offener Brief an die Abgeordneten des Landtags Baden-Württemberg zum 1. Bericht des Beauftragten der Landesregierung Baden-Württemberg gegen Antisemitismus

 

Sehr geehrte Frau Abgeordnete /
sehr geehrter Herr Abgeordneter,

die Deutsch-Israelische Gesellschaft Region Stuttgart e.V. bedankt sich herzlich für Ihre Initiative, in Baden-Württemberg einen Beauftragten des Landes gegen Antisemitismus zu berufen. Den ersten Bericht, den Dr. Michael Blume nun vorgelegt hat, schätzen wir als sehr bedeutsam ein. Es ist ein Meilenstein im Kampf gegen Antisemitismus in Baden- Württemberg.

Zum ersten Mal in der Geschichte Baden-Württembergs liegt nun eine staatliche Analyse des aktuellen Antisemitismus auf dem Tisch. Sie macht deutlich, dass Antisemitismus nicht länger nur als Rassismus begriffen werden darf, sondern Verschwörungsdenken und Hass auf Israel die besondere Gefahr ausmachen. Jüdinnen und Juden werden nicht als unterlegen wahrgenommen, wie andere Gruppen im gewöhnlichen Rassismus. Die antisemitische Denkweise halluziniert „die Juden“ als übermächtig und die Welt beherrschend, und projiziert alles Böse auf sie und den jüdischen Staat.

Wir begrüßen deshalb besonders, dass der Bericht sich die Antisemitismus-Definition der International Holocaust Remembrance Alliance (IHRA) zu eigen macht (Seite 9 des Berichts). Sie wurde mittlerweile von 32 Mitgliedsstaaten unterzeichnet, darunter die meisten EU-Länder, sowie Bundesregierung und Bundestag. Wir empfehlen, sich die vollständige Definition anzuschauen:

https://www.holocaustremembrance.com/de/node/196

Die Definition unterscheidet zwischen Kritik an Israel und Antisemitismus und sie nennt aktuelle Beispiele von Antisemitismus, darunter allein sieben aus dem Bereich des israelbezogenen Antisemitismus:

  • Der Vorwurf gegenüber den Juden als Volk oder dem Staat Israel, den Holocaust zu erfinden oder übertrieben darzustellen.
     
  • Der Vorwurf gegenüber Juden, sie fühlten sich dem Staat Israel oder angeblich bestehenden weltweiten jüdischen Interessen stärker verpflichtet als den Interessen ihrer jeweiligen Heimatländer.
     
  • Das Aberkennen des Rechts des jüdischen Volkes auf Selbstbestimmung, z.B. durch die Behauptung, die Existenz des Staates Israel sei ein rassistisches Unterfangen.
     
  • Die Anwendung doppelter Standards, indem man von Israel ein Verhalten fordert, das von keinem anderen demokratischen Staat erwartet oder gefordert wird.
     
  • Das Verwenden von Symbolen und Bildern, die mit traditionellem Antisemitismus in Verbindung stehen (z.B. der Vorwurf des Christusmordes oder die Ritualmordlegende), um Israel oder die Israelis zu beschreiben.
     
  • Vergleiche der aktuellen israelischen Politik mit der Politik der Nationalsozialisten.
     
  • Das kollektive Verantwortlichmachen von Juden für Handlungen des Staates Israel.
     

Der israelbezogene Antisemitismus ist heute die dominierende Spielart des Hasses gegen Juden, wie beispielsweise die Sprachwissenschaftlerin Prof. Dr. Dr. h.c. Monika Schwarz- Friesel und der Antisemitismusforscher Prof. Dr. Samuel Salzborn nachweisen. Ob das auch für Baden-Württemberg gilt, ist anhand des im Bericht zusammengetragenen Datenmaterials nicht ersichtlich. Doch das folgende (bundesweite) Ergebnis der FES-Mitte Studie 2016 lässt vermuten, dass auch in Baden-Württemberg der israelbezogene Antisemitismus unter den AnhängerInnen aller Parteien – also quer durch die Gesellschaft – weit verbreitet und deutlich ausgeprägter ist als der klassische.

Wir unterstützen deshalb das Vorhaben des Beauftragten, die Datenlage und die Forschung zu antisemitischen Einstellungen in Baden- Württemberg zu verbessern (Seite 23 des Berichts). Wir empfehlen, den Schwerpunkt dabei insbesondere auf Fragen zum israelbezogenen Antisemitismus zu legen.

 

Einige Empfehlungen des Beauftragten wollen wir im Folgenden kommentieren.

Ein Baden-Württembergisch-Israelisches Begegnungswerk für Dialog und Austausch (Seite 57) aufzubauen, halten wir für ein sehr wichtiges Vorhaben. Es verdient hohe ideelle und finanzielle Wertschätzung der baden-württembergischen Institutionen. Wir wollen es als Deutsch-Israelische Gesellschaft nach Kräften unterstützen und bieten unsere Kooperation hiermit an.

Schulbücher auf antisemitische Darstellungen deutsch-jüdischer Geschichte zu prüfen (Seite 42), ist unbedingt erforderlich. Wir wünschen uns, dass dabei auch ein Augenmerk auf israelfeindliche bzw. schiefe Bilder über Israel gelegt wird. Unsere Prüfung hat hier erheblichen Korrekturbedarf ergeben. Siehe DIG-Broschüre „Pädagogik des Ressentiments – Das Israelbild in deutschen Schulen und Schulbüchern“ zum Herunterladen www.digev.de, rechte Spalte unten. Gerne senden wir Ihnen auch gedruckte Exemplare zu.

Dass im Kapitel „Israelfeindlichen Antisemitismus stoppen“ (Seite 54) die Nakba-Ausstellung erwähnt wird, halten wir für richtig. Denn Die Nakba-Ausstellung ist Teil der weltweiten „Boycott, Divest and Sanction“ – Kampagne BDS. Nicht von ungefähr wird die Ausstellung sehr oft im Zusammenhang mit BDS-Aktivitäten gezeigt. Die Nakba-Ausstellung ruft zwar nicht zum Boykott Israels auf, sie propagiert jedoch zwei zentrale Mythen, die wie die BDS- Kampagne gegen die Existenz Israels zielen. Die rechtlichen Grundlagen der Staatsgründung werden in Frage gestellt und ein sogenannter Rückkehranspruch palästinensischer Flüchtlinge wird behauptet. Die Existenzberechtigung Israels in Frage zu stellen, ist das zentrale Angriffsmuster des modernen Antisemitismus. Dass Israel gegründet wurde, ist eine große Errungenschaft. Nach 2.000 Jahren Verfolgung und Ermordung sind JüdInnen heute mit Hilfe des Staates in der Lage, sich selber gegen Antisemitismus zu wehren. Die Ausstellung bewertet den Erfolg abschätzig als „israelisches Verständnis dieses Zeitabschnitts“. Sie unterschlägt, dass Israel eine Erfolgsgeschichte auch für seine arabischen Einwohner ist. In keinem anderen Land im Nahen Osten genießen arabische MuslimInnen mehr Menschenrechte und einen höheren Lebensstandard als in Israel. Das palästinensische Leid, das die Ausstellung beklagt, entstand nicht durch die Gründung des jüdischen Staates. Ursächlich ist der Judenhass, der die palästinensische Seite antreibt die Existenz Israels mit Krieg und Terror zu bekämpfen.

Die Nakba-Ausstellung sollte deshalb nicht mehr gezeigt werden. Gerne sind wir bereit, über die Problematik der Ausstellung näher zu informieren. Zum besseren Verständnis des israelisch-arabischen Konflikts lohnt es sich die Ausstellung 1948 zu zeigen; sie erklärt die Ereignisse und durchleuchtet die antisemitischen Mythen rund um die Staatsgründung Israels. Bitte kommen Sie auf uns zu, wenn Sie Interesse haben, über die Ausstellung 1948 informiert zu werden bzw. sie in Ihrem Wahlkreis zu zeigen. Wir wünschen uns Ihre Empfehlung und finanzielle Unterstützung, um die Ausstellung 1948 an vielen Schulen und Hochschulen zeigen zu können.

Wir sind schon sehr gespannt auf Ihre Debatte zum Antisemitismusbericht im Landtag. Über eine Einladung, die Debatte als ZuhörerInnen zu verfolgen, würden wir uns sehr freuen. Wir stehen Ihnen jederzeit für Gespräche zur Verfügung, – auch über strittige Fragen rund um Israel.

Gerne organisieren wir in Absprache mit Ihnen eine Veranstaltung in Ihrem Wahlkreis oder vermitteln Referentinnen und Experten aus Israel.

Mit freundlichen Grüßen,
Bärbel Illi